FRAGEN AM ENDE DER GEWALT der nächste Film von brandfilme 2024

Foto: Bettina Cruz Velazquez (CNI, Asamblea de Pueblo des Istmo) mit der „internationalistischen Karawane für globale Gerechtigkeit und zur Mobilisierung gegen den G7-Gipfel“ bei einer Kundgebung bei Schloss Elmau während des G7-Gipfels: „Ich gehöre zu einem indigenen Volk aus dem Süden Mexikos, und wir sind hier, weil wir den G7 sagen wollen, dass sie nicht die Herren der Welt sind, sondern dass sie sich als die Herren der Welt fühlen, weil sie hierher gekommen sind, um über unsere Zukunft zu entscheiden!“
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FRAGEN AM ENDE DER GEWALT
Streiten Verbinden Säen und Kämpfen

von Stella AC susanne fasbender

In diesem Film verlangen wir das Unmögliche und blicken auf das Ende der Gewalt. Der Film negiert die Hegemonie der Antworten, die die Geschichte der kapitalistischen Moderne bis hin zu Krieg, Völkermord und Naturzerstörung durchziehen. Er befragt die Konzeption des "Westens" als ein produktiv gemachtes System von Kategorien wie "westlich" und "nicht-westlich", (Stuart Hall), das es ermöglichte, Gesellschaften im Interesse westlicher Vorherrschaft zu "charakterisieren", zu "klassifizieren" und miteinander "vergleichbar" zu machen. Wie entstand die epistemische Implementierung unterscheidender, rassifizierender Bestimmungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft? Wie kamen die machtvollen Gegensätze: zivilisiert / primitiv, entwickelt / unterentwickelt, rational / irrational, lebenswert /  tötbar zur politisch wirkmächtiger Anwendung, während die gewaltsamen Prozesse, die zu ihrer Entstehung führten, unsichtbar wurden? Was bedeuten eurozentrische Hegemonien des Wissens und wie haben sie sich in das „westliche“ gesellschaftliche Bewusstsein eingeschrieben? Wie können wir heute die als Sachzwang postulierte Militarisierung, die Grenzziehungen, Mauern, Kriege und Naturzerstörungen, „mit denen wir uns als globale menschliche Spezies konfrontiert sehen, die kollektiv mit, durch und gegen die sich ausbreitende Expansion des Westens lebt,“ (Katherine Mc Mittrick in „Sylvia Wynter - On Being Human as Praxis“) aufbrechen, um in diesem Bruch eine neue Saat zu säen?

Der Vortrag "BRANDSPUREN – Epilog zur Unterscheidung – Von der eurozentrischen Aneignungslogik zur Entuferung des Weltenbrandes" auf dieser Seite ist als Teil der Grundlagenforschung zu diesem Film zu verstehen.

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Dabei ist das Ende der Gewalt zugleich in uns gegenwärtig - inmitten der Barbarei, dem Völkermord, der Naturzerstörung und der Apokalypse. Es ist, um es mit Karl Marx zu sagen, "der Traum", der die Wirklichkeit bereits enthält, zu der uns das Bewusstsein fehlt - oder die physische Handlungsmacht, diese Wirklichkeit zur Welt zu machen, um sie zu erneuern. Dabei wird auch der oft beklagte Streit darüber, wie wir nun kämpfen, denken und woran wir uns dabei orientieren sollten als eine produktive Bewegungskraft verstanden, als eine Konstante ständig neuen Beginnens in einer permanenten, unabgeschlossenen Auseinandersetzung mit den Widersprüchen in der Welt. Wir begegnen uns in Anerkennung aller Unterschiedlichkeit, aber doch mit dem gemeinsamen Ziel, die Welt von unten zu erneuern.

Auch ein Besuch der documenta 15 (u.a.) erwies sich als ergiebig, um die o.g. Fragen zu stellen und wird außerdem zum Ort des Streites um Fragen des Verhältnisses zwischen Antisemitismus und Antikolonialismus. Dazu gehört auch die Befragung des herrschenden "Verbotes", die Geschichte der Vertreibung der Palästinenser*innen seit Beginn des Zionismus in Deutschland zu thematisieren oder ihre Kunst auf der documenta15 zu betrachten und zu besprechen. Mit dem 7. Oktober 2023 hat sich die Geschichte dieses Filmes auf Fragen zur Solidarität mit Palästina erweitert und befragt Historiker*innen und Aktivist*innen zur Geschichte Israels/Palästinas.

Die von Unbekannten noch vor der Eröffnung der documenta15 im Jahr 2022 im Ausstellungsraum der eingeladenen palästinensischen Künstlergruppe "The Question of Funding" gesprühte Morddrohung (187 - You will be the next) gegen die eingeladenen Künstler*innen wurde als "Schmiererei" verharmlost und während der gesamten Ausstellung weder skandalsisiert noch unter den Augen einer engagierten Presse entfernt. Stattdessen wurde dieser Angriff mit einem einhelligen Urteil verknüpft, das die Ausstellung bereits vor der Eröffnung als "antisemitisch" einstufte. Ich sah deutsches touristisches Publikum abschätzig lästernd durch die Ausstellung gehen - "gute Deutsche", die wissen, dass sie immer auf der "richtigen" Seite stehen.

 

Die Reihe "Gaza Guernica" des Künstlers Mohammad Al Hawajri thematisiert in Montagen mit Auszügen aus europäischem Realismus, wie hier "Pause von der Arbeit" von Jean-Christophe Millet, plötzliche Vertreibungen bäuerlichen Lebens, die über Dorfbewohner*innen in Palästina beginnend schon Jahrzehnte vor der Nakba hereingebrochen waren. In der Montierung von klassischen Werken der europäischen Kunstgeschichte mit Bildern des israelischen Militärs weist er hin auf die tiefe Verwurzelung dieser Vertreibungen in die europäische Geschichte und ihres Expansionismus. Historisch bedeutend ist dabei das Sykes-Picot-Abkommen von 1916, in dem die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs die arabischen Provinzen des ehemaligen  Osmanischen Reiches in vier permanente Einflusszonen aufteilten.

 

LE 18 ist ein multidisziplinärer Ort für Kultur und Residency-Programme in der Altstadt Marrakeschs, der 2013 von Laila Hida gegründet wurde und zur documenta 15 eingeladen war. Laila Hida spricht über die Fragen, die sich ihnen bei der Übersetzung ihres Raums in eine Repräsentation auf der documenta in Kassel stellten. Sie begannen mit einem talk: "Undoing documenta". Wir wollten das Gespräch mit der Community in Kassel darüber eröffnen, was die documenta ist, wie wir sie verstehen, wie die Leute sie verstehen, was von Kollektiven und Projekten aus dem globalen Süden erwartet wird, die hierher eingeladen sind. Und im Laufe all dieser Gespräche, die wir in den letzten Monaten geführt haben, wurde uns klar, dass wir auf dem falschen Weg sind, wenn wir nur auf eine Einladung antworten, die von einem Verständnis ausgeht, das irgendwie ein kolonialisiertes Verständnis davon ist, was die documenta ist, was eine Ausstellung ist oder was eine Kunstmanifestation ist. Also zu sagen, dass wir immer noch ungleich in dieser Welt sind und dass wir als Künstler*innen nicht unter den gleichen Bedingungen arbeiten. Und es ist immer noch problematisch, Werke aus dem globalen Süden in diesem Kontext zu zeigen, weil sie nicht richtig verstanden werden. Man will ja auch kein Token sein. Aber ich glaube, dass es generell immer schwieriger wird, in westlichen Ländern auszustellen, weil wir bis heute keine gleichberechtigten Gespräche führen und keine gleichen Rechte haben. Wir veranstalten diesen talk und gleichzeitig erhalten wir Anrufe von einem unserer Teammitglieder, der sein Visum noch nicht erhalten hat. Wir sind nicht sicher, ob er es bekommt. Er sollte eigentlich morgen hier sein. Wir haben also gleichzeitig mit solchen Dingen zu tun."

Der Film entsteht mit einer Vielzahl von Stimmen von Denker*innen und Kämpfer*-innen, Krieger*innen, Forschenden, Lehrenden, Schreibenden im Gespräch und in ihren Reden, die ihre Arbeit und ihr Leben einer Gegenwart widmen (widmeten), in der die Keime einer vom Ökozid/Genozidkomplex, von eurozentrischen Hegemonien des Wissens und Denkens befreiten Praxis und möglichen Welt auch zugleich die Samen und die Kraft ihres täglichen Lebens sind. Die Begegnungen, Aufnahmen und Interviews entstanden während mehrerer Jahre an verschiedenen Orten und unabhängig voneinander. Mögen diese Menschen der Filmautorin vielleicht nicht bekannte streitbare Unterschiede in ihren Vorstellungen, Einschätzungen, Theorien und Herangehensweisen haben, so sei darauf aufmerksam gemacht, und dennoch wird sich die gemeinsame Verbindung immer wieder darin finden, am Ende der Gewalt den Ausgangspunkt zu nehmen.

Aktivist*innen und Forschende antikolonialer Kämpfe hier und dort, Frauen der kurdischen Autonomiebewegung, indigene Feminist*innen aus Abya Yala (Südamerika), der argentinischen feministischen Bewegung Ni Una Menos, Stimmen aus den palästinensischen Protesten in der BRD und der Palästina-Solidarität, Proteste zu Afghanistan, dem Tren Maya in Chiapas/Mexiko, aus dem Sudan, aus Nigeria, Namibia und aus Deutschland, sowie Interviews mit Künstler*innen aus Haiti, dem Kongo und aus Marokko thematisieren Kämpfe und Berichte zu politischer Gewalt. Die Vielzahl der hier aufgeführten Länder soll weniger für Verwirrung sorgen, als die historisch befestigte Linie - Patriarchat, Expansionismus und Kapitalismus –, die in diesen Kämpfen über die Entfernungen hinweg die Barriere bildet, verdeutlichen.

Silvia Federici: Kommunalismus ist nicht einfach ein Ziel für die Zukunft. Er ist eine Lebensbedingung für unsere Kämpfe. Kommunalismus ist eine tägliche Bedingung. Um einen wirklichen Kampf zu führen, braucht es diese Art von Solidarität, die unsere Leben zusammenbringt - in einer konkreten, alltäglichen Art und Weise - indem wir, wenn wir an unsere Reproduktion, an unser Leben denken, nicht in Kategorien des Einzelnen denken. Das halte ich für äußerst wichtig. Die Commons als Grundlage für den Kampf. Nur so können die Kämpfe tatsächlich wachsen und nicht nur episodisch sein: ein großer Moment, alle sind auf der Straße und dann gehen alle wieder nach Hause. Sondern tatsächlich eine Infrastruktur aufbauen, um den Kampf zu reproduzieren. Wenn wir wirklich Arbeitermacht schaffen, dann müssen wir auch die Fähigkeit zu kämpfen reproduzieren.  Das ist es was wir stärken müssen.

 

 

Napuli Paul: Ja, wir produzieren selbst Spaltungen und für die Regierung bedeutet das, sie wird gewinnwn, weil wir gegen uns selbst kämpfen. Öffne dein Herz. Ich kämpfe nicht um einen Feind zu haben, sondern ich kämpfe dafür, zusammenzukommen und zu erkennen, dass diese Welt uns gehört. Wir sollten füreinander sorgen. Das Wichtigste ist, dass wir Respekt haben. Respekt, entweder als Einzelperson oder als Gruppe. Urteile nicht. Denn manche Leute können sagen, du kämpfst als Einzelperson, aber wir, wir sind in einer Gruppe. Wir sind die Besten. Und wenn man dann diese Energie empfängt, stellt man sich selbst in Frage. Wenn wir uns selbst respektieren, respektierst du den Kampf der Menschen. Aber wenn man keinen Respekt hat, dann wird man auch nicht respektiert. Wir öffnen unsere Herzen nicht.

Und es sind auch die außermenschlichen Geschöpfe der Pflanzen, Gräser und Tiere, Windstürme und Regen, die den Film beleben und Sonnenstrahlen, die sich in der Linse der Kamera zu Bildern brechen. Die Arbeit entfacht ein gewobenes Netz des Lebens aus einem Befragen von Geschichte und Revolten, aus Sprechen, Texten, Lauten, Singen und Kämpfen, das sich von dem, was wir Natur nennen, so wenig trennen lässt wie von sich selbst.

Fragen am Ende der Gewalt blickt gerichtet in ein von Gewalt und Kämpfen, barbarischen Unterscheidungen, von Patriarchat, Rassismus, Kapitalismus und Krieg, von Wissen und Kultur, unzerstörbarem Leben und widerständigen Gesellschaften, von Erzählungen, Zitierungen und Poesie gewebtes Netz des Lebens, dem zugleich bei aller Geschichte ein permanenter Anfang innewohnt. So verbleiben wir mit unverrückbarem Blick auf das Ende der Gewalt.

Interviews, bis jetzt (alphabetisch):
Cinzia Arruzza, Lolita Chavez, Dr. Azizou Chehou, Bettina Cruz Velazquez, Marta Dillon, Peter Emorinken-Donatus, Edouard Duval-Carrié, Silvia Federici, Juan Pablo Guiterrez, Rahila Gupta, Narlis Guzmán, Detlef Hartmann, Laila Hida, Karolinx, Nilüfer Koc, Fritzi Krämer, Dr. Katharina Loeber, Francesca Masoero, Leona Morgan, Serge Palasie, Rua, Bafta Sarbo, Selma Selman, Napuli Paul, Lisa Pöttinger, Ina-Maria Shikongo, Kabila Stephane

Lectures, alphabetisch
Asya Abdullah, Vilma Rocío Almendra, Nizol Lonko Juana Calfunao, Jade Daniels, Dilar Dirik, Irem Gelkus, Malalai Joya, Elif Kaya, Kavita Krishnan, Heza Şengal, Mariam Rawi u.a.

Stella AC, Februar 24