NETTO NULL Dies Haus wird brennen

Klimaschutz und neokoloniale Offensive

Dieses Kartenhaus wird in Flammen aufgehen, mit uns allen darin“

chasing carbon unicorns

The Deception Of Carbon Markets and “Net Zero”

Friends of the Earth International and Climate Justice Groups

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1. Die Gewalt des Emissionshandels

2. Technologisch bewältigtes Morgen

3. Tiefe Kluft der Vertreibung

4. Finanzen und Emissionen

5. Weit entfernte Zerstörung

6. „Making Peace with Nature“ - 30% der Erde als Naturschutzgebiet sind Grund zu großer Sorge

7. Vernichtung von Wissen

8. Wirkliche Kohlenstoffkreisläufe

9. Kapitalistische Machbarkeit - Externalisierung ist fundamental

10. Wie ein großes weisses „Wir“ das alles nicht sehen und denken muss

NETTO NULL-Dies Haus wird brennen.pdf

siehe auch die Kampagne von Survival International

 

1. Die Gewalt des Emissionshandels

Ich schreibe diesen Text, weil ich mehr und mehr wahrnehme, wie in der Politik, aber auch in den ihr gegenüber sich kritisch positionierenden Konzepten und Studien zu einer Klimaneutralität bis 2035 oder bis 2050 ein großes Problem der Gewalt, das der Emissionshandel mit sich bringt, und um das es in diesem Text geht, nicht erwähnt wird. So gut wie nie wird das System der Kompensation von Treibhausgasemissionen im Rahmen des EU-Emissionshandels auf seine rassistischen und neokolonialen Praktiken gegenüber zahlreichen Völkern und Gemeinschaften im Globalen Süden hin diskutiert, so gut wie nie auf seine schwerwiegenden Vertreibungen hin betrachtet, sondern in Gesamtkonzepten und -vorschlägen zur Reduzierung von Emissionen in der BRD stets als neutrales Instrument eines 1,5 Grad-Zieles propagiert. Im besten Falle ist die Rede von einem höheren zu erreichenden CO2-Preis, von Stellschrauben, „Verbesserungen“ oder von Bedingungen, an die Kompensationen geknüpft werden sollen, doch als Ganzes erscheint der EU-Emissionshandel im Rahmen dieser Konzepte mehr wie ein Nebelgespenst, das in Bezug auf sein Ausmass und seine Macht und Funktionsweise und in Bezug auf die Realitäten, die schon längst an anderen Orten der Welt geschaffen wurden, so gut wie garnicht ausformuliert wird und dadurch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung auch nicht wirklich existiert. Die reale und machtvolle Dynamik und weite Verzweigung des Kohlenstoffmarktes, der sich in 25 Jahren aufbauen und tief in die Strukturen westlicher weisser Klimaschutzprogramme einschreiben konnte, wird schlichtweg so gut wie gar nicht diskutiert, geschweige denn lautstark bekämpft. Einzelne Kritiker*innen, die den Emissionshandel seit Jahrzehnten analysieren, beobachten und sich für seine Abschaffung stark machen, werden zu wenig gehört.

©Friends of the Earth International

Tausende wertvolle Bemühungen, CO2-arme Lebensweisen und Techniken auszuprobieren und daran in zahlreichen kommunitären, individuellen und auch wissenschaftlichen Projekten zu forschen, zeigen einen Drang nach postkapitalistischen und solidarischen Lebensweisen. In den großen Narrationen des internationalen Klimaschutzes wird spannenden grünen Community-Projekten jedoch oft ein Pathos planetarischer Zukunftsrettung zugeschrieben, das vom eigentlichen Charakter des tatsächlich praktizierten Klimaschutzes ablenkt. Indem der Emissionshandel zugleich kein Schwerpunkt in der Agenda der ansonsten hochaktiven Klimagerechtigkeitsproteste ist, wird die reale Gefahr, die von diesem System für eine zu rettende Zukunft ausgeht, verschleiert.
Die Empörung, es passiere „zu wenig“, bestätigt nur die „Richtigkeit“ des eingeschlagenen Weges, der nur „entschlossener“ gegangen werden sollte. Wenn das Problem als „Untätigkeit“ bezeichnet wird und die weitreichende Tätigkeit der Schaffung gigantischer Märkte mithilfe von Landnahmen und Vertreibungen übersehen oder trotz seines Ausmasses nur beiläufige kritische Erwähnung findet, wie soll ein dringend notwendiger System Change je wirklich adressiert werden?
Der Einfluss vieler Akteure des Emissionshandels reicht bis in große NGO’s und Institutionen hinein. Da auch Unterstützungsgelder und Jobangebote aus diesem Wirtschaftsbereich in die europäischen Umweltbewegungen fließen, verliert sich der klare Blick auf das Problem. Die berechtigte Sorge um das Erreichen der Kipppunkte, um das Nichterreichen der Klimaziele durch die Verschiebung des Kohleausstiegs müsste von einem Protest gegen die Macht eines bestehenden weissen Klimaschutzregimes begleitet sein, das in seiner umfassenden Funktionsweise mit dem Erhalt der fossilistisch angetriebenen Produktionsverhältnisse verwoben ist. Gerade weil die europäische Klimagerechtigkeitsbewegung seit vielen Jahren von immer größerer Bedeutung für einen kontinuierlichen Kampf für den Kohleausstieg und für die Erreichung der Klimaziele ist, sollten die neokolonialen Realitäten hinter Netto Null und dem Begriff CO2-Neutralität zentral in ihren Ruf nach Klimagerechtigkeit aufgenommen werden. Passiert das nicht, so wird die Bewegung bei allem guten Willen, den sie hat, den für das Erreichen der Klimaziele kontraproduktiven Auswirkungen des Emissionshandels den Weg bereiten.

The Bitter Course of Carbon Th/Sinking Zeichnung und Tusche, Susanne Fasbender 3/21

Das Kompensationsprinzip und seine vielen schwerwiegenden Auswirkungen auf Bevölkerungen und ihre natürlichen Umgebungen wird seit zwei Jahrzehnten besonders von indigen und bäuerlich geprägten Klimagerechtigkeitsgruppen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen im Globalen Süden bekämpft. Das Indigenous Environmental Network und die Climate Justice Alliance rufen auf zu einer internationalen Solidarität gegen den Kohlenstoffmarkt:

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Klimabewegungen können besser Macht aufbauen und sich in Richtung einer gerechten Transformation bewegen, wenn sie Subventionen für fossile Brennstoffe bekämpfen. Sie sollten sich davor hüten, zur Legitimierung von Kohlenstoffpreisen und anderen "easy outs" für Verschmutzer benutzt zu werden.

Die Ungerechtigkeiten, der Rassismus und der Kolonialismus der Kohlenstoffbepreisung sind von internationaler Tragweite. Unser Widerstand muss ebenfalls international sein.

Wir alle atmen und teilen dieselbe Luft. Die heimischen regionalen Kohlenstoffmärkte sind dabei, zu einem globalen Kohlenstoffmarkt zu verschmelzen. Dieser globale Kohlenstoffmarkt würde eine WTO des Himmels sein. Kohlenstoffpreise wären ein Dach für den Kohlenstoffhandel, Kohlenstoffsteuern und Kohlenstoffausgleiche. Wir müssen unseren Kampf gegen die Privatisierung der Atmosphäre, der Natur und all diese falschen Lösungen für den Klimawandel globalisieren. Der Himmel ist eins und so muss auch unser Widerstand sein! [1]

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Die Erarbeitung des Themas begann schon bei meinen Arbeiten an der BRAND-Trilogie. Die Bedeutung des Kompensationsprinzips im Emissionshandel und die ihm zugrunde liegende Finanzialisierung der Natur, der Unterschied von Verschmutzungsrechten und Emissionszertifikaten, die Bedeutung von Biodiversitätszerstörungsgutschriften wurden in BRAND I (Klimaschutz, REDD-Proteste, Verschmutzungsrechte, erster Teil des Films) und auch in BRAND II (00:34:00, 00:51:40, 1:31:00) aufgegriffen und erklärt. Doch es blieb mir das Gefühl, noch nicht genug getan zu haben, um das Thema in seiner weitreichenden Problematik zu vermitteln.

2. Technologisch bewältigtes Morgen

Im Jahr 2021 scheinen nun auf der Biodiversitätskonvention CBD COP 15 vom 11. - 24. Oktober 2021 in Kunming in China und beim Treffen des Weltklimarates COP 26 in Glasgow im November 2021 unter den Titeln "New Deal for Nature",  „Making Peace with Nature“ [2] (auf der CBD COP 15) und „Race To Zero“ (COP 26) neue Weichen für Strategien gestellt zu werden, die das neokoloniale Kompensationsprinzip als zentralen Weg des internationalen Klimaschutzes mit einem „Netto Null bis 2050“-Projekt noch tiefer und langfristiger in das Zukunftsmodell eines fossilen grünen Wirtschaftens verankern sollen.

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Netto Null / März 21 / susanne fasbender

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Netto Null-Klimaziele sind das Ergebnis von Strategien, die es erlauben, fossile Energien weiter zu nutzen, während man hofft, dass neue Technologien einerseits und Baumplantagen, Wälder und Böden mithilfe des Kohlenstoffmarktes andererseits in der Lage sein werden, die Menge an CO2-Emissionen, die ein Land oder ein Unternehmen produziert, in Naturgebieten in Afrika, Asien und Südamerika wieder zu entfernen. Das Netto Null Projekt beinhaltet gleichzeitig Pläne für einen industriellen Ausbau städtischer und ländlicher Infrastrukturen mit erneuerbaren Energiesystemen und E-Mobilität, welcher zugleich abhängig sein wird von fossilen Brennstoffen und dem Abbau und Einsatz von großen Rohstoffmengen. Es sind mit Infrastruktur nun auch Landflächen, Wälder, Mangroven und Gewässer gemeint. „Schätzungen gehen davon aus, dass 75% der Infrastruktur, die bis 2050 vorhanden sein soll, heute noch nicht existiert“, sagt ein Bericht des UN Umweltprogramms. [3]
Ich verstehe darunter: Der Anteil dieser 75%, der sich auf Naturgebiete bezieht, „existiert noch nicht“ unter der Kontrolle von Staaten und Konzernen, die sie für CO2-Kompensation und als Rohstoffbasis der Zukunft sichern wollen. Dazu später in diesem Text.
Dekarbonisierung auf Netto Null bis 2050 tritt auf als ein Versprechen für eine technisch und finanziell machbare Verhinderung des Klimakollaps, für eine erreichbare Rettung der den Planeten bedrohenden Zukunft, repräsentiert einen deutlichen Rückgang von CO2-Emissionen und entwirft in Bildern von futuristisch begrünten Städten die Vision einer technologisch beherrschten Welt der Zukunft, eines Sieges über die einst angerichteten Schäden, die durch die in dieses Morgen hineinprojizierte Infrastruktur eines Grünen Wachstums wie ausradiert zu sein scheinen.
Diesem Projekt haftet etwas beruhigendes an, wahrgenommen als eine Möglichkeit, ein Vielleicht, auf jeden Fall aber als ein Nachweis für das Bemühen von Wirtschaft und Regierenden im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Environmental Programme UNEP), welcher ausreicht, die Zukunftssorgen der für diese Aussicht adressierten Bevölkerungen auf morgen zu verschieben oder gar ganz zu vergessen. Mit aus sozialen und Umweltprotesten übernommen Begriffen wie Gerechtigkeit, Climate Action, Change und sogar Awareness, Wandel, Transformation, Energie Für Alle lese ich mich durch den Bericht „Making Peace with Nature“ des United Nations Environmental Programme (UNEP)

3. Tiefe Kluft der Vertreibung

In einer Gegenüberstellung der aktuellen Netto-Null-Pläne, deren administrative Techniken, privatwirtschaftliche Umsetzung und Überwachung vor Ort in den letzten Jahrzehnten in konkreten Projekten in Afrika, Asien und Südamerika erprobt und weiterentwickelt wurden und den dabei geschaffenen sozialen und ökologischen Realitäten tritt dabei eine tiefe grundlegende Kluft der Zerstörung, Vertreibung, Enteignung und Vernichtung von Lebenssystemen und -gemeinschaften hervor.
Die Verschmutzungsrechte werden an Orten hergestellt, also in Wäldern und Gebieten, in denen oft von Wald oder kleinbäuerlicher Landwirtschaft abhängige Völker und Dorfgemeinschaften leben. Hierfür arbeiten Konzerne mit Regierungen, lokalen Behörden und internationalen Umweltorganisationen zusammen. Viele Menschen werden aus ihrem Gebiet gewaltsam vertrieben oder in unmenschliche Verträge gezwungen. Oft werden sie beschuldigt, Umweltsünder zu sein und mit ihren zum Überleben benötigten Praktiken Wälder zu zerstören.
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"Netto-Null"-Ziele können also tiefe Ungleichheit und Ungerechtigkeit verbergen. Konzerne, Länder des Nordens und Eliten planen, weiterhin fossile Brennstoffe zu verbrennen, während sie davon ausgehen, dass die Wälder und das Land im globalen Süden ihre Emissionen auffangen werden und dass die Gemeinden an vorderster Front, Frauen und junge Menschen die Kosten mit ihrem Lebensunterhalt und sogar ihrem Leben bezahlen werden. [4]

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Es wird also in einem bestimmten Wald hauptsächlich in Afrika, Asien oder Südamerika oder einer hierfür gepflanzten Monokulturplantage, beide bezeichnet als Kohlenstoffsenken, die Fähigkeit der Bäume und Pflanzen wie auch von Böden, Kohlenstoff zu speichern, quantitativ bewertet und dieser Menge ein Preis gegeben. Obwohl es sich in der Praxis als schwierig erwiesen hat, für diese komplexen und sich verändernden Prozesse vergleichbare Einheiten zu definieren, werden CO2-Gutschriften erzeugt, die aus einer bestimmten Menge gespeichertem CO2 bestehen. Ein Unternehmen kauft also eine Anzahl an solchen Gutschriften, Verschmutzungsrechten, die der Menge an CO2 entsprechen, die von dem Unternehmen erzeugt wurden. So entsteht ein CO2-Bilanzwert Netto Null. Unternehmen können direkt in ein Klimaschutzprojekt investieren oder CO2-Gutschriften auf dem Markt erwerben. In einem Land mit einem Netto Null 2050 Ziel wie Deutschland entsteht eine Infrastruktur von Unternehmen, die den Zugang zu solchen Gutschriften gewährleisten. Ein Industrieunternehmen in der BRD kann durch den Kauf dieser Gutschriften erklären, dass es seine Emissionen reduziert hat, es kann sein Produkt als CO2-neutral und nachhaltig bewerben und so besser an die Erfordernisse einer grünen Zukunft angepasst verkaufen. Die Konsument*innen, also „wir“ als die Individuen der großen „Wir schaffen das gemeinsam“ - Erzählung (s.Kap. 10) werden sich eher für CO2-neutrale Produkte entscheiden. Der Unternehmer mag genauso viel CO2 emittieren wie zuvor, er kann aber dennoch sagen, dass er seine Emissionen reduziert hat, weil er sie an ganz anderer Stelle kompensiert hat.

4. Finanzen und Emissionen

Es werden die mächtigsten Gruppen ein Monopol für die Produktion und den Verkauf sauberer Luft, trinkbaren Wassers, wiederaufbereiteter Mineralien und heiler Umwelt errungen haben. Dies wird es ihnen ermöglichen, einen neuen Akkumulationszyklus einzuleiten, der nun aber auf Kapitalisierung der Natur, auf der Einverleibung aller das Leben auf Erden ermöglichen-den Faktoren und Vorraussetzungen durch das Kapital basieren wird. Damit schließt sich der Ring: Das Profitgesetz wird in die letzten Enklaven der Natur eingedrungen sein; die Luft selbst wird zu einer Ware geworden sein; der Totalitarismus des Kapitals und damit die Monopolisierung der Wirtschaft wird vollkommen sein.

Dies ist die natürliche Richtung der Trends, dem die Entwicklung folgen wird - eines Trends, der den Keim der letzten Krise, den Keim der barbarischsten Despotie in sich trägt. [5]

André Gorz, 1972

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Grafik aus dem booklet: Who benefits from REDD, Players and Power, www.carbontradewatch.org

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Der Netto-Null-2050-Plan sorgt in der Finanzwelt gerade für große Euphorie und für eine Dynamik, die auf langfristige Planungen hinweist und gigantische terrestrische Flächen betreffen könnte. Die Verfügbarkeit auf Unmengen an benötigtem Land, auf Flächen, Gewässer, Wälder und Land ist der wichtigste Faktor für diese 2050 Planung und muss gewährleistet sein. Erst kürzlich erschienen verschiedene Artikel über den Netto-Null Plan von Shell:
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Josh Gabbatiss von Carbon Brief hat Shells neuen "Sky 1.5"-Pfad unter die Lupe genommen und dabei einige verblüffende Annahmen entdeckt. Die wichtigste davon ist die Enthüllung, dass Shell denkt, dass Baumpflanzungen in der Größenordnung eines neuen Waldes von der Größe Brasiliens" erforderlich sind. Dadurch könnte in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts genug CO2 aus der Atmosphäre gesaugt werden, um sicherzustellen, dass die globale Erwärmung bis 2100 wieder auf 1,5°C zurückgeht, nachdem sie auf 1,7°C angestiegen ist.

Es wird Sie vielleicht nicht allzu sehr überraschen, wenn Sie erfahren, dass Shell auch der Meinung ist, dass Öl und Gas - derzeit seine beiden wichtigsten Produkte - bis 2100 nicht auslaufen werden. Daher, so die Firma, sei eine Aufforstung in epischer Breite notwendig. [6]

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Auf der Webseite der weltweit größten Investoreninitiative Climate Action 100+, die „sicherstellen soll, dass die weltweit größten Unternehmen, die Treibhausgase emittieren, die notwendigen Maßnahmen zum Klimawandel ergreifen“, sammeln sich die Namen großer Industrieproduzenten: Von Arcelor Mittal, dem größten europäischen Stahlhersteller, über Bayer AG, BMW, Daimler AG, Danone, E.ON, Nestlé, RWE, Siemens, thyssenkrupp AG, Unilever, bis zu Volkswagen, um nur einige allein aus dem deutschsprachigen Raum zu nennen.
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Fast die Hälfte der Unternehmen, die im Fokus von Climate Action 100+ stehen, haben sich dazu verpflichtet, bis 2050 oder früher Netto-Null-Emissionen zu erreichen, wie der aktuelle Fortschrittsbericht zeigt. Es gibt nun 545 Unterzeichner, die für ein verwaltetes Vermögen von über 52 Billionen US-Dollar verantwortlich sind und mit 167 Unternehmen über die Initiative zusammenarbeiten.[7]

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So schildert der Herausgeber des internationalen Wissenschaftsjournals Environmental Values und des 2017 erschienenen Routledge Handbook of Ecological Economics, Nature and Society Prof. Dr. Clive L. Spash die Situation in BRAND II:
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Am Ende haben wir ein System, das aus der Umwelt heraus Waren für den Finanzsektor zum Kauf und Verkauf erzeugt. Und dies sind große Märkte. Der Emissionshandel kontrolliert vielleicht keine Treibhausgase, aber er macht große Gewinne. Er schafft Finanzinstrumente, die wiederum Zwischenhändler hervorbringen, die wiederum Investments erzeugen, welche auf Futures-Märkten verkauft werden, welche wiederum Terminmärkte schaffen. Das ist eine Riesensache für die Finanzwelt und Milliarden fließen durch ihr System. Sie haben ganze Abteilungen für Klimawandel, es ist eine schwere Industrie geworden. Nachhaltigkeits-abteilungen im Bankenwesen - haben nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Aber sie haben viel zu tun mit Kommodifizierung und damit, Anlageprodukte durch den Markt zu treiben. Und wenn sie das dann noch mit Biodiversität machen können, können sie noch größere Märkte schaffen. Sie können Märkte verbinden, CO2-Märkte mit Biodiversitätsmärkten und dann noch mehr Finanzinstrumente schaffen. Und was hat das mit der Realität zu tun? Absolut nichts. Was hat das mit Rettung der Umwelt zu tun? Absolut nichts.[8]

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Larry Lohmann beschreibt bereits im Jahr 2008 in einer ausführlichen Analyse, wie Unwissenheit und Ignoranz im Kohlenstoffhandel produziert werden:
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Die unvermeidliche Jargon-Wolke des hoch zentralisierten, quantifizierungslastigen Regulie-rungsapparats, der den Kohlenstoffhandel ausmacht, hält selbst viele Journalisten und Umweltschützer in Unkenntnis darüber, wie wenig die Regierungen und das UN-System tatsächlich gegen den Klimawandel unternehmen. Nur wenige Mitglieder der Öffentlichkeit haben eine Ahnung davon, wie weit der Versuch, einen gigantischen globalen Kohlenstoffmarkt zu errichten, bereits fortgeschritten ist, geschweige denn von der Bedeutung der Akronyme und Fachbegriffe des Kohlenstoffmarktes wie Additionalität, Modellregeln, Methpanels, Supplementarität, Leakage, AAUs, CERs, ERUs, DNAs, DOEs, NAPs, PDDs, AIEs, SBIs, SBSTAs, COPs, MOPs, COP/MOPs und so weiter. Diese indirekte, aber höchst effektive Unterdrückung der öffentlichen Diskussion ist genau das Gegenteil der breit angelegten Basisdebatte und politischen Mobilisierung, die die Klimakrise braucht. [9]

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Wenn der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, im Vorwort des UN-Berichtes „Making Peace With Nature“, 2021, [2] betont, dass die Führungsrolle der Privatwirtschaft für diesen „Frieden mit der Natur“ wichtiger denn je sein wird, dann bilden Akteure wie die Weltbank, die Carbon Pricing Leadership Coalition (CPLC), oder die Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC), das Global Green Growth Forum (3GF) das Investor Network on Climate Risk (INCR), um nur einige zu nennen, Dachorganisationen für Großunternehmen und NGOs, Naturschutzorganisationen und Pensionsfonds die Funktionselite, die dem privaten Wirtschaftssektor und großen Kapitaleignern Wissen und Struktur bereitstellt, um die Vereinbarkeit von Klimaschutz und der weiteren Nutzung fossiler Energien ökonomisch zu stabilisieren.

5. Weit entfernte Zerstörung

Die im Rahmen der Klimakonferenzen vereinbarten Übereinkommen sind so gestaltet, dass Mechanismen wie REDD, Reducing Emissions of Deforestation and Forest Degradation oder CDM, Clean Development Mechanismus, (den es schon seit 1997 gibt, der vielleicht in ein Nachfolge-instrument übergeht) verschiedene Rahmen bilden, um auf unterschiedlichen technischen Wegen Kompensationsrechte zu erzeugen. Bei REDD z.B. geht es um das Einhegen von Wäldern mit hoher Biodiversität, um den Anbau von schnellwachsenden Monokulturplantagen oder auch um das Pflanzen gentechnisch veränderter Pflanzen und Bäume, im CDM geht es meist um die Errichtung von Anlagen.
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Empört über den zügellosen Landraub und Neokolonialismus von REDD haben Afrikaner*innen auf dem Weltsozialforum in Tunesien 2013 die historische Entscheidung getroffen, das No REDD in Africa Network zu gründen, um den Kontinent gegen den REDD-Angriff zu verteidigen.

Das No REDD in Africa Network warnt, dass REDD der ultimative Keil sein kann, mit dem die Tür für eine Invasion gentechnisch veränderter Nutzpflanzen und Bäume auf dem afrikanischen Kontinent geöffnet wird. Außerdem könnte es die falsche Vorstellung fördern, dass gentechnisch veränderte Pflanzen eine "klimafreundliche" Landwirtschaft ("Climate Smart Agriculture“) be-deuten. (Climate Smart Agriculture sieht vor, dass Bäuer*innen auf ihrem eigenen Land unter lokaler Kontrolle selber Verschmutzungsrechte erzeugen. Anm.sf). Böden, Wasser (blauer Kohlenstoff) und ganze Ökosysteme könnten dafür in Anspruch genommen werden. So könnte auch die Kultur der kolonialen Plantagenlandwirtschaft wieder aufleben, die auch als Cash Cropping' bezeichnet wird. In Afrika entwickelt sich REDD zu einer neuen Form des Kolonialismus, wirtschaftlicher Unterwerfung und Verarmung. [10]

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Im Rahmen des CDM (Clean Development Mechanism) hingegen werden z.B. Wasserkraftwerke gebaut, wobei deren niedrigerer CO2-Ausstoss im Vergleich zu einem angenommen höheren Ausstoß, der ohne den Bau dieses Wasserkraftwerkes angeblich erzeugt worden wäre, zu aus dieser Differenz berechneten Kompensationsgutschriften führt. So erklärt es die Biologin Jutta Kill, die seit Jahrzehnten zum Emissionshandel forscht in meinem Film „BRAND I Vom Eigentum von Land und Wäldern“:

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Und dieses Versprechen etwas nicht getan zu haben, keine Emissionen so in dem Maße verursacht zu haben wie es geplant war, wird transferiert in diesem neuen Markt in ein Recht, ein Eigentumsrecht, was ich als Käuferin erlange und was mir das Recht gibt, einen gesetzlichen oder einen moralischen Grenzwert hier zu überschreiten. Gutschrift, der Begriff sagt schon, ich habe etwas gut. Ich kann diese Gutschriften im Rahmen des Kyoto-Protokolls in Deutschland einlösen, wenn ich hier als Kraftwerksbetreiber oder als großer Industriebetrieb meinen Grenzwert an Emissionen, die mir zustehen, erreicht habe und dann kann ich mittels dieser Gutschriften, die ich erworben habe, mehr Emissionen freisetzen und gleichzeitig sagen, ich bewege mich aber immer noch innerhalb meines Grenzwertes, denn das, was darüber hinausgeht, habe ich anderer Stelle ausgleichen lassen. [11]

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In einer von tausenden Realitäten und für die Bevölkerung in der BRD unsichtbar, kann dann folgendes geschehen:
Für ein CDM-Projekt wird ein kohlenstoffarmes, auf traditionellem Wissen beruhendes Bewässerungssystem des Dorfes Sarona entlang des Bhilangana-Flusses im bergigen Uttaranchal in Indien zerstört:

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Das System nutzt poröse Felsdämme, um das Wasser sanft in kleine Kanäle zu leiten und gleichzeitig Schlamm durchzulassen. Das Wasser fließt dann in noch kleinere Kanäle, die terrassenförmig angelegte Reis und Weizenfelder versorgen, die dann das restliche Wasser wieder in den Fluss ableiten.[9]

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In dieser Region wird nun im Rahmen eines CDM-Projektes ein Laufwasserkraftwerk gebaut:

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Die SPEL (Swasti Power Engineering Ltd) erhielt die CDM-Zulassung Anfang 2007, um ein 22,5-MW-Laufwasserkraftwerk am Bhilangana-Fluss in Uttarakhand zu entwickeln. Das Unternehmen wird enorme Gewinne machen, da das Projekt registriert ist, um eine große Summe an Emissionsgutschriften zu generieren - 624000 CERs (Certified Emission Reduction) im Jahr 2012 und 1.093000 CERs im Jahr 2020, was in Geldwerten zwischen 8 und 15 Millionen Euro bedeutet.[12]

Nach einigen alarmierenden Hinweisen von NGOs in Delhi besuchten wir das Dammgebiet. Der Befund war erschreckend: Wütende Dorfbewohner beklagten sich über Schäden in mehr als 14 Dörfern. Sprengungen für den Bau des Tunnels, der das Wasser aus dem Bhilangana-Fluss zum Kraftwerk umleitet, hatten Risse in etwa 75 % der Häuser im Dorf Dewlang verursacht, darunter auch die Schule. Die Ausbrüche haben auch natürliche Wasserquellen verschoben, die jetzt trocken sind. Unverantwortliche Landbewegungen im Zusammenhang mit dem Bau des Projekts verursachen Erdrutsche, die Straßen und Wälder zerstören und das Ökosystem der Flüsse schwer beeinträchtigen, wenn der Schlamm in den Flussbetten landet. Der Staub aus dem Steinbrecher, der für das Baumaterial verwendet wird, hat die Felder, auf denen einst Reis geerntet wurde, unfruchtbar gemacht und provoziert Krankheiten bei den Futtertieren. [13]

Im März 2005 wurden 120 Dorfbewohner von Sarona Village verhaftet und für vier Tage ins Gefängnis gesteckt; 79 weitere, darunter Frauen, wurden im Juli 2005 verhaftet. Im November 2006 wurden mindestens 29 Menschen verhaftet und gezwungen, ein Dokument zu unterschreiben, dass sie ihren Widerstand aufgeben würden.

188 Staudammprojekte in verschiedenen Teilen Indiens haben mit Stand vom 29. Juni 2011 den CDM-Status beantragt. [12]

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In Uganda hat ein Kohlenstoffkredit-Baumpflanzungsprojekt im Mount-Elgon-Nationalpark, das die europäische Luftverschmutzung absorbieren soll, möglicherweise bis zu sechstausend Menschen, darunter das indigene Volk der Benet, gewaltsam vertrieben und Ernten und Häuser zerstört. Das Projekt beinhaltete den Vorschlag der niederländischen FACE Foundation und der Uganda Wildlife Authority (UWA), 25.000 Hektar Bäume zu pflanzen, um angeblich Emissionen aus dem Flugverkehr und einem 600-MW-Kohlekraftwerk in den Niederlanden zu kompensieren. Bis 2006 waren nur 8.500 Hektar gepflanzt worden. Trotz Versprechungen von Arbeitsplätzen wurden nur wenige Saisonarbeitsplätze geschaffen. Sowohl für den Nationalpark als auch für das Klimaschutzprojekt kam es zu Zwangsräumungen. Nach einer der Vertreibungen "wurden die Vertriebenen gezwungen, in Nachbardörfer zu ziehen, wo sie in Höhlen und Moscheen lebten." Einem Bericht einer lokalen Zeitung zufolge "töteten Parkranger im Jahr 2004 mehr als 50 Menschen."

Die lokalen Gemeinden haben unter Vertreibungen, Menschenrechtsverletzungen, Verlust von Land, Nahrung (einschließlich der traditionellen Speise Malewa (Bambussprossen), Einkom-men und Lebensunterhalt gelitten. Im Jahr 2002 erklärte der beauftragte Gutachter des Klimaschutzprojekts, die Société Générale de Surveillance Agrocontrol (SGS), dass für die Fortsetzung des Baumpflanzungsprojekts "mehr Menschen vertrieben werden müssen." Sie empfahlen sogar, dass "mehr Geschwindigkeit erforderlich sein könnte, um sicherzustellen, dass die Vertreibungen erfolgreich durchgeführt werden." Die Vertreibungen aus dem Nationalpark wurden fortgesetzt, während das Projekt vom Forest Stewardship Council zertifiziert wurde. Laut World Rainforest Movement wurden "Dorfbewohner ... geschlagen und beschossen, wurden von ihrem Land ausgeschlossen und mussten mit ansehen, wie ihr Vieh von bewaffneten Parkrangern, die die 'Kohlenstoffbäume' im Nationalpark bewachten, konfisziert wurde. Das 'Offset'-Projekt verkaufte Kohlenstoffgutschriften an Greenseat, eine niederländische Firma mit Kunden wie Amnesty International, dem British Council und dem Body Shop." [10]

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Recherchen des No REDD in Africa Network zeigen, dass das Kongobecken (Kamerun, Demokra-tische Republik Kongo, Kongo, Zentralafrikanische Republik), Uganda, Madagaskar, Kenia, Tansania und Mosambik einige der wichtigsten Frontlinien für REDD in Afrika sind.

6. „Making Peace with Nature“ 30% der Erde als Naturschutzgebiet sind Grund zu großer Sorge

Es sieht so aus, als seien wir mit unserem Klimaschutz an einem Punkt angekommen, von dem aus die endgültige physische Kontrolle über diese Gebiete erlangt werden könnte, die nach der ersten Runde des Kolonialismus noch in der Hand indigener Dorfgemeinschaften und Kleinbauern verblieben sind. Unabhängig davon, was die Zukunft tatsächlich bringt: Die neokolonialen Praktiken, auf denen das Netto Null Ziel beruht, werden heute umgesetzt und schaffen heute neue koloniale Verhältnisse.
Der im Februar veröffentlichte o.g. Bericht des UN-Umweltprogramms mit dem Titel „Making Peace with Nature“ begleitet den geplanten „New Deal For Nature“, der vorsieht, 30 % der Erde bis zum Jahre 2030 auf dem nächsten Gipfeltreffen der Biodiversitätskonvention CBD COP 15 in „Schutzgebiete“ umzuwandeln. 50% bis 2050 sind schon im Gespräch. Dazu weisen wichtige Akteure aus der Finanzwelt und der WWF deutlich auf die „Notwendigkeit“ hin, eine Öffnung für Nature Based Solutions (NBS) in das dazugehörige Rahmenwerk, das Global Biodiversity Framework (GBF) aufzunehmen.[14] Sind jene Nature Based Solutions Teil des Rahmenwerks dieser neu karto-graphierten Naturschutzgebiete, ist fast zweifelsfrei anzunehmen, dass sie den Weg frei machen für Kompensationsprojekte internationaler Netto Null Pläne, wobei dies aus guten Gründen nicht deutlich kommuniziert werden wird.

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In einer besseren Welt, die nicht auf Profit und Scheinbedürfnissen basiert, sondern auf Solidarität und der Befriedigung tatsächlicher Bedürfnisse, wären Naturschutzgebiete nicht notwendig. [15]

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Es ist bekannt, dass Naturschutzparks in Afrika seit der Mitte des 20. Jahrhunderts - ebenso wie in-zwischen auch die oben beschriebenen „Klimaschutzprojekte“ - eine ständige Bedrohung für die Lebensgrundlagen der dort ursprünglich lebenden Bevölkerungen sind, die für unterschiedliche Zwecke aus diesen Gebieten vertrieben und von Parkwächtern oft gewaltsam verfolgt werden.
Klaus Pedersen schildert in seinem Buch „Naturschutz und Profit“, wie es dazu kam, dass allein in Afrika im Namen des Naturschutzes 10-15 Millionen Menschen vertrieben wurden. Er zeigt die Hintergründe und Verfahren, die in den Ländern des Südens zu massiven Menschenrechtsverletzungen führen, um die biologische Vielfalt zu schützen.

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Die … fatale Entwicklung, die es schon seit Jahrzehnten gab, erhielt zusätzlichen Auftrieb, als der Vierte ‚World Parks Congress’ 1992 das Ziel verkündete, 10% der globalen Landfläche in Schutzgebiete zu verwandeln (ein Ziel, das offiziell 2003 erreicht, in Wirklichkeit aber deutlich überschritten wurde). An diesem Punkt begann ein Wettlauf um Fördergelder und Lobbyeinflüsse. Dieses Ziel lieferte diversen NGOs und „Entwicklungshilfe“-Programmen einen neuen Handlungsschwerpunkt. (vgl. West und Brockington 2006). Das naturzerstörerische Gesellschaftsmodell, das die als ’Naturschutzgebiete‘ bezeichneten Ausgleichsflächen erforderlich macht, wurde und wird von kaum einer Seite in Frage gestellt. [15]

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Die kenianischen Autoren John Mbaria und Mordecai Ogada geben z.B. in ihrem Buch „The Big Conservation Lie“ [16] eine ausführliche Schilderung des rassistisch-kolonialistischen, im Glauben an die europäische Überlegenheit verankerten, von weissen Viehzüchtern, Tourismusorganisationen und auch NGOs dominierten Wildtierschutzsystems, in dem Afrikaner*innen in die Rollen von Trägern, Fährtenlesern, Dienern - und „Wilden“ gedrängt werden. Außerdem werden ursprünglich dort lebende Menschen systematisch vertrieben, womit sie und ihre Familien Lebens- und Nahrungsgrundlage verlieren. Von Hunger angetrieben kehren viele von ihnen oft „illegal“ in ihre ehemals vertrauten Gebiete zurück, in denen ihnen z.B. das Jagen verboten worden war und werden dadurch zu „Wilderern“. Es ist davon auszugehen, dass der „Schutz“ der Gebiete, über die in der CBD COP 15 verhandelt werden wird, und welcher als großer Fortschritt im Biodiversitätsschutz verkündet werden wird, einen Rahmen bilden kann für Gebietssicherungen und privatwirtschaftliche neokoloniale Aneignungen.

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Für viele ist das Kartographieren eine unverdächtige Technik, die uns hilft, uns in der Welt zu orientieren. Was oft übersehen wird, ist, dass es darauf ankommt, welche politischen Agenden mit Mapping bedient werden.

Investoren und politische Führer konsultieren globale Karten, die zeigen, wo die "Schrumpfung von Nahrungsmittel produzierenden Regionen" "tolerierbar" ist. Wo "tropische Waldkohlenstoffbestände" am billigsten annektiert werden können. Wo landwirtschaftliche Flächen den niedrigsten oder höchsten Dollarwert haben. Wo neue "Korridore" zur Erleichterung von Handel und Produktion am einfachsten über Tausende von Kilometern politischer und topographischer Grenzen hinweg angelegt werden können um infolgedessen menschliche und nicht-menschliche Gemeinschaften umzustrukturieren. "Entwicklung zu bringen“ für die Betroffenen solcher durch diese Karten vorbereiteten, groß angelegten Investitionen wird gewöhnlich zur Verteidigung der Zerstörung angeführt. [17]

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Es wird also der Prozess der „Entwicklung“ stets narrativ begleitet von einer „Sorge“ um die indigenen Völker, um die Anerkennung ihres Wissens und ihre „Integration“ in den Prozess der Entwicklung. Eine Integration in den Markt jedoch steht schon an sich in einem totalen Widerspruch zu indigenem Wissen. Warum überhaupt sollen selbstbestimmt lebende Menschen, die sich womöglich oder teilweise außerhalb der kapitalistischen Sphäre ernähren und erhalten, eingebunden werden in das fossile Wirtschaftssystem, sind sie doch gerade diejenigen, die jene Gebiete, welche vom kapitalistischen Verwertungszwang noch nicht betroffen oder zerstört wurden, auf der Basis ihres komplexen traditionellen und ortsbezogenen Wissens seit Jahrhunderten pflegen und entwickeln? (Dabei geht es nicht ausschließlich um indigene Völker, sondern auch um kleinbäuerliche Dorfgemeinschaften, die sich selbst vielleicht nicht als indigen bezeichnen.)
Eine Kampagne von Survival International veröffentlicht dazu ein Video, das von dem nigerianischen Dichter und Aktivisten Nnimmo Bassey gesprochen wird. [18]

7. Vernichtung von Wissen

Dorfbewohner werden zu jenen, die "nicht verstehen", zu jenen, denen gegenüber es unfair wäre, ihnen die Vorteile westlicher Entwicklung vorzuenthalten, aber vor allem zu jenen, deren vorhandenes Wissen in einem Sinne unwiederbringlich "lokal" ist. [9]

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Ein neuer Bericht über die Bedeutung indigener Gebiete für die Erhaltung und die Pflege der Natur, an dem 20 Wissenschafter*innen beteiligt waren, zeigt, dass die von indigenen Völkern bewohnten und oder von ihnen verwalteten Gebiete die höchste Artenvielfalt und Biodiversität aufweisen. In dem Bericht wird davon ausgegangen, dass das Land indigener Völker 37% aller verbleibenden natürlichen Flächen auf der Erde ausmacht.

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Ungeachtet ihrer globalen Vielfalt drücken indigene Völker oft tiefe spirituelle und kulturelle Bindungen zu ihrem Land aus und betonen, dass die lokalen Ökosysteme Jahrtausende ihrer Verwaltung widerspiegeln, wobei das Land indigener Völker eine der ältesten Formen von Naturschutzeinheiten darstellt. [19]

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Jahrtausende von Wissen, das von unschätzbarem Wert wäre für eine Gegenwart und Zukunft nicht kapitalistischen, nicht auf Akkumulation ausgerichteten Zusammenlebens, welches wir das ‚Zusammenleben von Menschen, Tieren, Pflanzen, Erdreich, Luftreich und Gewässern’ nennen mögen. Mit „wir“ verstehe ich in diesem Fall kritisch Teilhabende einer eurozentristisch-kapitalistisch organisierten Lebensweise, die wir noch suchen nach neuen Begriffen für „Mensch und Natur“ und für deren Schaffung wir beginnen, uns damit auseinanderzusetzen, dass „die Binarität von NATUR/GESELL-SCHAFT für die immense Gewalt, Ungleichheit und Unterdrückung der modernen Welt auf direkte Weise verantwortlich ist“. [20] Lokales traditionelles Wissen kleinbäuerlicher und indigener Völker und Gemeinschaften spiegelt womöglich sein Eingebundensein in ein komplexes örtliches System der Biodiversität wider, das in einem simplifizierten Raster weltweit zu vergleichender Einheitswerte von CO2-Kompensationsgutschriften durch die multinationalen Akteure der Kapitaleigner und ihrer Funktionseliten vernichtet wird.
Wird ein Wort wie Ökosystemleistung bereitwillig in die Umweltsprache aufgenommen, dann wird durch die Zerspaltung des Lebens in zweckdienliche Subsysteme und seine Zerlegung in verwertbare, warenförmige Einheiten verhindert, dass es überhaupt zur Wahrnehmung komplexer Verschiedenheiten in der natürlichen Welt kommt, dass sich ein Verständnis dessen entwickelt, was NATUR in ihrer Gesamtheit ineinander verwobener Kreisläufe und womöglich diverser Ganzheiten bedeuten könnte, die wirklich zu schützen eine fundamentale Aufgabe für uns wäre. Alle noch so wichtigen und zukunftsweisenden Ansätze die schon bestehen, auch in urbanen Lebensräumen, Natur neu zu verstehen, Nachhaltigkeit zu leben, können sich als vergebens erweisen, wenn zugleich ein Kompensationssystem Leben zerstört und Menschen aus nachhaltigen Lebensweisen vertreibt.
Gerade weil der o.g. UNEP-Bericht von einem „Krieg der Menschheit gegen die Natur“ spricht, den es zu beenden gelte, ist doch sehr zu bezweifeln, dass diesem Ziel damit gedient wäre, wenn ausgerechnet jene noch gut erhaltenen Gebiete, die von diesem sogenannten Menschheitskrieg noch nicht betroffen sind, zu „Schutzgebieten“ mit der konzeptuellen Einbindung von „Nature Based Solutions“ zu erklären.

8. Wirkliche Kohlenstoffkreisläufe

Rund um das Netto-Null-Konzept werden also Finanzströme bewegt sowie Großkonzernen und Verschmutzern die Darstellung eines Netto-Null-Zieles bis 2050 ermöglicht. Dabei spricht vieles dafür, dass sogar die biologische Grundlage, also ein tatsächliches „Kompensieren“ von Treibhausgasemissionen, wenn überhaupt, nur in geringem Ausmass möglich wäre. Es gibt schlichtweg zu wenig Land auf der Erde. Und den eigentlichen Charakter von Kohlenstoff-Kreisläufen bedenkend, lesen wir folgendes:

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Theoretisch ist "Netto-Null" erreicht, wenn ein Gleichgewicht zwischen Quellen von Treib-hausgasemissionen und Senken besteht. Die einfache Gleichung verbirgt wichtige Unterschiede zwischen Quellen und Senken von Kohlenstoff. Diese Unterschiede werden weiter verschleiert, wenn man die gesamte Konversation (und ganze Ökosysteme) auf Moleküle von Kohlenstoff und Einheiten von CO2 reduziert.

Viele der "Lösungen", die derzeit propagiert werden, gehen fälschlicherweise und auf gefährliche Weise davon aus, dass all diese fossilen Emissionen in natürlichen Ökosystemen aufgefangen werden könnten. Aber das Kohlendioxid aus fossilen Brennstoffen, das ausgegraben und verbrannt wird, kommt zusätzlich zu dem Kohlenstoff, der bereits zwischen den aktiven Pools (Atmosphäre, Ozean und Land) zirkuliert. Wir setzen all diese Pools unter erheblichen Stress, indem wir sie dazu drängen, zusätzliches fossiles CO2 aufzunehmen, da ihre Kapazität dazu sehr begrenzt ist und die Auswirkungen dieser fortgesetzten Aufnahme enorm sind. Zum Beispiel erhöht das zusätzliche fossile CO2, das von den Ozeanen aufgenommen wird, dramatisch ihren Säuregehalt, mit katastrophalen Folgen für Tiere mit Karbonat in ihrem Körper, wie Korallen und Muscheln. Und wir alle kennen die Auswirkungen der steigenden CO2-Konzentration in der Atmosphäre, die im Jahr 2019 bei 410 ppm lag und natürlich weiter steigt.

Was die Wiederherstellung - oder sogar das Pflanzen von einer Billion neuer Bäume - jedoch nicht leisten kann, ist die Kompensation der laufenden, zusätzlichen Emissionen fossiler Brennstoffe. Um es mit den Worten von Professor Peter Smith von der Universität Aberdeen zu sagen: Wir können nicht einfach die Geosphäre (d.h. das CO2 aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe) in die Biosphäre stopfen. Kohlendioxid reichert sich in der Atmosphäre an und verbleibt dort für Hunderte bis Tausende von Jahren, so dass alle Minderungsstrategien den Umgang mit der laufenden Anreicherung berücksichtigen müssen.[14]

9. Kapitalistische Machbarkeit - Externalisierung ist fundamental

Das Konzept der Finanzialisierung der Natur, das dem Emissionshandel und dem Kompensationsprinzip zugrunde liegt, hat sich als „bahnbrechende“ Idee, biologische Prozesse und Kreisläufe in der Natur zu kodieren, zu quantifizieren und als Waren zu definieren, etabliert. Mit der Erkenntnis knapper werdender Rohstoffe und des Problems der Umweltzerstörung durch die industrielle Produktionsweise in den 1950er Jahren wurde eine grundlegende technologische und kapitalistische Machbarkeit gegenüber der Umweltverschmutzung postuliert. Vor dem bewährten theoretischen Hintergrund der „Externalisierung der Schäden“, das heißt der Ausblendung sozialer und ökologischer Zerstörungen gilt das Marktsystem als perfekt. Naturzerstörung, soziale Vertreibung, Verschmutzung und Gesundheitsfolgen gelten als „geringfügige Abweichung eines ansonsten perfekten Systems und liegen außerhalb der eigentlichen Ökonomie.“ [8]
Ein Rückblick auf kritische Umweltdiskurse der 1970er Jahre zeigt, wie deutlich das Problem schon vor 60 Jahren Zeit erkannt wurde.

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Hat die ökonomische Theorie auf diese Weise, das heißt unter Berufung auf das ökonomische Kalkül der neoklassischen Gleichgewichtsökonomik, das grundsätzliche Rechtfertigungsargument für diejenigen geliefert, die Umweltzerstörung als überraschende Katastrophe ausgeben wollen und Umweltschutz einer hinreichend alarmierten Öffentlichkeit als Schönheits-reparatur an einem prinzipiell funktionsfähigem System anpreisen, so lassen sich alle weiteren Schutzbehauptungen, die heute in der Umweltdiskussion schon zu gängiger Münze geworden sind, als Varianten dieses Hauptarguments nachweisen. Das grundlegende Argumentationsschema der bürgerlichen Ökonomie in Sachen Umwelt ließ bereits deutlich erkennen, worum es ging: Man setzt alles daran, die Frage nach den Ursachen der zunehmenden Umweltzerstörung nicht aufkommen zu lassen. [21]

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In seinem bereits i.J. 1952 erschienenen Werk „Soziale Kosten der Marktwirtschaft“ entwickelte der während des Nationalsozialismus in die USA emigrierte deutsche Nationalökonom Karl William Kapp eine erste auf westliche Gesellschaften bezogene politische Ökonomie der Umwelt, in der Kapitalinteressen nicht die Grundlage wirtschaftspolitischer und produktionsbezogener Entscheidungen bilden dürften. Er warnte schon damals davor, dass Umweltprobleme das drängendste Problem der Menschheit werden würden, wenn die menschlichen Bedürfnisse nicht als unbedingte Grundlage jener Entscheidungen Gültigkeit erlangen würden.
Stattdessen entwickelte sich jedoch eine Umweltschutzindustrie, die an die Profitinteressen der Verschmutzer angepasst war und zugleich zu einer großen Wachstumsindustrie der 1970er Jahre wurde. Die damals auch als „pollution industrial complex“ bezeichnete Entwicklung hat sich bis heute in komplexe Finanzsysteme hinein entwickelt, so dass der Philosoph André Gorz bereits i.J. 1972 erkennen konnte, das in Zukunft „… das Profitgesetz .. in die letzten Enklaven der Natur eingedrungen“ [5] sein wird.
Die Analyse einer als verheerend einzuschätzenden Entwicklung, in der die Bewältigung der Umweltprobleme vom Kalkül der Kapitalinteressen geleitet werden würden, war in den 1970er Jahren bereits vollständig vorhanden. Während Klimawandel und Naturzerstörung voranschritten, hat sich daran in den letzten 60 Jahren nichts geändert.
Der grundlegend von den Interessen der Kapitaleigner geleitete Klimaschutz wurde mit der Netto-Null-Projektion fundamental in die fossile kapitalistische Produktionsweise eingebunden und erfüllt nun das Ziel, ihr Fortbestehen zu gewährleisten, ihre Rohstoffbasis in den noch unzerstörten Gebieten zu sichern und das notwendige Ende der Nutzung fossiler Brennstoffe aufzuschieben.

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Doch anstatt sich darauf zu konzentrieren, wie man die Menschheit vor den Bedrohungen schützen kann, die mit der fortgesetzten Nutzung fossiler Brennstoffe verbunden sind, konzentrieren sich die meisten offiziellen Ansätze zum Klimawandel darauf, wie man die Nutzung fossiler Brennstoffe durch eine breite Palette von Industrie-, Transport und Dienstleistungs-unternehmen vor den Sorgen der Menschen über die globale Erwärmung schützen kann. Für fast alle Regierungen der Welt sind fossile Brennstoffe zu wichtig für ihre Macht, ihre Profite und ihre Paradigmen - bei der Schaffung und Disziplinierung von Lohnarbeit, der Steigerung ihrer Produktivität, der Beschleunigung des globalen Transports, der Gewinnung von Rohstoffen, der Förderung des Konsums, der Schaffung von Investitionsmöglichkeiten und der Führung von Kriegen - um auch nur in Erwägung zu ziehen, sie im Boden zu lassen. [1]

10. Wie ein großes weisses „Wir“ das alles nicht sehen und denken muss

Mit dem letzten Kapitel möchte ich mich - unvollständig und beginnend - der vereinfachten, weissen Sicht auf die Zusammenhänge von Umwelt, Produktion, Wirtschaft, Macht und Naturzerstörung in seiner heutigen, auf den Umgang mit den Problemen des Klimawandels bezogenen Form widmen. Es kann nur ein Anfang sein, denn das Thema benötigt jahrhundertweite Rückblicke in die patriarchale und weisse Konstruktion von Denken und Wissen, in die Entstehung des Konzeptes Rasse und ist von daher zu umfassend, um ihm in dieser Kürze wirklich gerecht werden zu können.
Vor dem Hintergrund des Imperativs, das wirtschaftliche Wachstumsmodell sei notwendig zu erhalten, wurde mit jahrzehntelangen Diskursen über die Wirksamkeit finanztechnischer Anreize, grünen Wirtschaftens, CO2-neutraler Produkte, mit dem Mantra, die Welt sei voller Lösungen, die Frage nach der Zerstörung der planetarischen biologischen Systeme mit einer simplen und inzwischen weitreichend verankerten Erzählung auf einen einfachen Nenner gebracht: Der „Mensch“ sei die Ursache des Klimawandels und ein „Wir“ könne diesen aufhalten. „Nur gemeinsam können wir“ das Klima retten, angeführt von Technologien, Märkten und Privatwirtschaft, von transnationalen Konzernen, die mit dem Ziel einer gerechten und grünen Zukunft für alle in Zukunft CO2-neutral werden. Es existiere eine offenbar durchweg homogene „Menschheit“, die in gemeinsamer Sorge um den sogenannten „planetarischen Notstand“ nun zu einer nie da gewesenen Einheit zu verschmilzen scheint. Die Teilhabenden im „Wir“ werden eine individuelle Schuldigkeit gegenüber der „Rettung der Erde“ als Kernfrage verstehen und ihre „CO2-Fußabdrücke“ gegeneinander vergleichen. So wird jede*r auf der Ebene der persönlichen „Verantwortung“ innerhalb einer Konsumgesellschaft aus *ihrer Sicht genug zu tun haben und muss sich, unabhängig davon, wie erforderlich reduziertes Konsumieren unbenommen ist, nicht mit der notwendigen und zentralen Machtfrage auseinandersetzen, geschweige denn die Entstehung eines weissen rassifizierenden Konzeptes „Mensch“ in Frage stellen.
Auch eine Kritik an der ideologischen Schaffung dieses „Wir“ in Umweltfragen begann schon in den 1970er Jahren: [8]

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Der Begriff „Katastrophe“ soll das unvorhersehbare signalisieren, damit aber gleichzeitig „Schicksalsgemeinschaft“ begründen helfen. Wir sitzen alle doch in einem Boot! heißt es dann, oder: „People find out people are the prime polluters“ oder: „We have met the enemy, and he is us:“[21]

Ein zentrales ideologisches Motiv der Umwelt-Diskussion, wie sie heute geführt wird, vielleicht sogar ihr Kernstück, ist die Metapher vom „Raumschiff Erde“. … „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“, „Wir sitzen alle in einem Boot“ und dergleichen mehr. Der ideologische Zweck solcher vorschneller Globalisierungen liegt auf der Hand: verleugnet werden soll dabei allemal der kleine Unterschied zwischen Erster Klasse und Zwischendeck, Kommandobrücke und Maschinenraum. Einer der ältesten Tricks der Legitimierung von Klassenherrschaft und Ausbeutung feiert so im neuen Kostüm der Ökologie seine Auferstehung“ [22]

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Die breite gesellschaftliche Anerkennung einer technologisch und finanztechnisch zu bewältigenden Klimakrise, das breite Übersehen der Unwirksamkeit sowie der externalisierten Gewalt der Klimalösungen bestätigt die von vielen Denker*innen gestellte Diagnose einer im weissen gesellschaftlichen Wissen historisch verankerten „Nichtexistenz“ von der mit den eigenen Lebens- und Wirtschaftssystemen verbundenen Gewalt gegenüber „anderen“. Diese wichtige Analyse soll trotz der ja schon benannten Dimension des Themas nicht unerwähnt bleiben, denn gerade hier finde ich einen Anfang, eigenes weisses Denken zu verstehen, um einen transformativen Prozess hin zu einem richtig verstandenen Antirassismus und Antikapitalismus zu beginnen.
Es braucht Bücher, die schon längst geschrieben sind, Bücher von Schwarzen Denker*innen, die mit der Analyse von Antiblackness und weisser Herrschaft das Wesen von Eigentum, Macht, Subjekt, Gerechtigkeit, Freiheit und Identität neu denken. In einem mir vorher unbekannten Reichtum des Denkens und der Sprache wird die Erfahrung des transnationalen Versklavungshandels, der Plantagenökonomie aber auch die des „ex-slave-archipelago“ (Sylvia Wynter), zu einem Ausgangspunkt, von dem aus neue Perspektiven entstehen, die eine westlich geprägte Vorstellung davon, was „menschlich“ sein bedeutet, erschüttern kann.

Lesen für den Film: Erkundungen in unbekanntem Terrain: Arbeit am Rassismus ©susanne fasbender 2021

Die jamaikanische Schriftstellerin und Philosophin Sylvia Wynter spricht von einer westlich-bürgerlichen Konzeption des Menschlichen und des Menschen (human, Man), der sich im „fortwährenden Imperativ der Sicherung seines Wohlergehens“ innerhalb dieser Konzeption so „überrepräsentiert, als sei er das Menschliche selbst“. Zwischen diesem Imperativ und der „vollständigen kognitiven und verhaltensmäßigen Autonomie der menschlichen Spezies selbst“ spiele sich der zentrale Kampf des neuen Jahrtausends ab. [23]
Ich kann mithilfe dekolonialer Lektüren eine Verwandtschaft ausmachen zwischen dem Nichtsehenwollen der in Afrika, Asien und Südamerika ausgeübten Gewalt des Kompensationssystems und dem Charakter einer weissen Selbstwahrnehmung, die von einer epistemisch geprägten Gewaltfreiheit ausgeht und sie gleichsetzt mit der Vorstellung einer Nichtexistenz jener Gewalt.

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Durch einen Abgrund getrennt, der nicht nur materiell, sondern auch kognitiv und epistemisch zwischen der sogenannten Alten und Neuen Welt errichtet worden sei, wolle und könne der hegemoniale Blick all das gar nicht mehr sehen, was sich auf dessen gegenüberliegender Seite bewege. Was jenseits des für die herrschende Weltsicht Intelligiblen liege, werde nicht nur für minderwertig oder unverständlich, sondern schlicht für inexistent erklärt. Damit wird es unsichtbar gemacht - oder aber herangezogen, um den mittels epistemischer Gewalt zu anderen Gemachten nichts weniger abzusprechen als das Menschsein selbst.“ [24]

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Vor diesem Hintergrund lässt sich auch das Konzept des Anthropozäns für die derzeitige geologische Epoche, das als neue „Geologie der Menschheit“ mit der geplanten Festlegung seines Beginns auf das Jahr 1950 das Holozän ablösen soll, als ideologisches Beiwerk für die Konzeption technologischer und kapitalistischer Bewältigung der durch die „Menschheit“ verursachten Zerstörung des Planeten interpretieren.

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Für manche kündigt dieser Begriff auch eine Zukunft der Menschheit an, in der technisches Vermögen die widrigen Naturbedingungen erfolgreicher denn je in die Schranken weist. … Mit der Erklärung der "Menschheit" zum kollektiven Subjekt, zum "Wir" beanspruchter Selbstermächtigung werden tiefgreifende historische, politische und kulturelle Unterschiede zwischen den handlungstragenden Kräften eingeebnet. [25]

Mit dem Anthropozän haben wir eine bequeme Erzählung zur Hand. Bequem, weil sie die für natürlich erklärten Ungleichheiten, Entfremdungen und Gewaltformen, die in den strategischen Macht- und Produktionsverhältnissen der Moderne eingeschrieben sind, nicht in Frage stellt.

Eine allzu bequeme Geschichte, weil sie uns nicht im Geringsten dazu auffordert über diese Verhältnisse nachzudenken. Das Mosaik menschlicher Aktivitäten ist hier auf eine abstrakte Menschheit heruntergebrochen: eine homogen agierende Einheit, Ungleichheit, Kommodifizierung, Imperialismus, Rassenkonstrukte und vieles mehr sind von der Betrachtung größtenteils ausgenommen. Im besten Fall werden diese Verhältnisse anerkannt, aber als postfaktische Ergänzungen, nachdem das Rahmenmodell des Problems bereits festgelegt wurde. … Ein Narrativ, in dem das „menschliche Unterfangen“ den „großen Mächten der Natur“ gegenübersteht. [20]

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Ein Überbau wurde geschaffen, der im Angesicht des katastrophalen sozialen und ökologischen Zustandes der Erde, der Tötungen von Schwarzem Leben und anders Rassifizierten, von Frauen*, von Migrant*innen, von Umweltaktivist*innen, Journalist*innen und Menschenrechtsbeobachter*innen, der Vertreibung von Bevölkerungen in großem Ausmass, im Angesicht von 80 Millionen Geflüchteten weltweit im Jahr 2020 und außerdem im Angesicht der täglichen industriellen Tötung der Meeresfische, des ganzen Lebens und der Kräfte im Meer, der Millionen Nutztiere, der Vernichtung von Leben, Pflanzen, irdischen und unterirdischen Verflechtungen…
…in der Lage ist, eine breite Zustimmung für einen Netto Null Plan genau dort zu generieren, wo ein damit gemeintes „Wir“ sich retten will, das in jenem System am wenigsten für diese Rettung tun muss. Während die Ursachen der klimatischen und sozialen Zerstörungen mit einem vom Konzept Rasse grundlegend geprägten, jahrhundertealten weissen Handels- und Produktionssystem verbunden sind, das zahlreiche menschliche und nicht-menschliche Gemeinschaften ihrer Lebensgrundlagen beraubt, wird für jenes „Wir“ die Rettung des Planeten lediglich zu einem Netto-Null-CO2-Bilanzierungsvorgang.

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Das Anthropozän mag den Anschein erwecken, eine dystopische Zukunft zu bieten, die das Ende der Welt beklagt, aber Imperialismus und anhaltende (Siedler-) Kolonialismen haben Welten beendet, so lange wie sie je existierten. Das Anthropozän bemerkt erst jetzt das Aussterben, das es bei der Herstellung seiner Modernität und Freiheit immer wieder entschieden hat, zu übersehen. [26]

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„Die Menschheit führt einen Krieg gegen die Natur.“
Nein, nicht die Menschheit und nicht ihr Krieg.
Es ist der Raub derjenigen, die seit der Zeit des Kolonialismus glauben, dass ihnen die Erde gehört.

Und wir aber antworten: Die Erde gehört zu allen, die sie bewohnen. [27]

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Die Unsichtbarkeit des Schmerzes durch Vertreibung und durch Zerstörung von Leben, Wohnstätten und Umgebungen, des Schmerzes von in lebendigem Austausch miteinander verbundenen menschlichen und anderen Lebewesen gehört zu den Klimaschutzprojekten der Gegenwart ebenso wie diese Unsichtbarmachung die Geschichte des Reichtums der großen Industrienationen durchzieht.
SF April 21
Quellen:
1) Carbon Pricing A Critical Perspektive für Community Resistance / Indigenous Environmental Network und Climate Justice Alliance
2) UN Making Peace with Nature https://www.unep.org/resources/making-peace-nature
3) A new deal for Nature – Promote a Better Built Environment, UN Environment
https://wedocs.unep.org/bitstream/handle/20.500.11822/28334/Infrastructure.pdf?sequence=1&isAllowed=y
4) NOT ZERO: How ‚Net Zero‘ targets disguise climate action Gemeinsames technisches Briefing von Organisationen für Klimagerechtigkeit
5) Ökologie und Revolution - Eine Debatte zwischen dem französischen Philosophen Andre Gorz und dem derzeitigen Präsidenten der Europäischen Kommission Sicco Mansholt,1972 in Kursbuch 33, Ökologie und Politik oder die Zukunft der Industrialisierung, Hrsg Hans Magnus Enzensberger im Jahr 1973
6) Shell announces new emissions goals as it aims to be net-zero by 2050
7) Climate action 100 Pressekonferenz
https://www.climateaction100.org/news/climate-action-100-progress-report-records-accelerated-company-commitments-to-net-zero-emissions-but-gaps-remain/
8) Prof. Dr. Clive L. Spash in BRAND II Gegenwart der Dörfer und Befreiung von Natur (ganze Sequenz ab 01:31:00, Externalitäten: 00:56:00) https://brandfilme.org/filme/
9) Carbon Trading, Climate Justice and the Production of Ignorance: Ten examples Larry Lohmann, 2008
10) STOPPING THE CONTINENT GRAB AND THE REDD-IFICATION OF AFRICA No Redd in Africa Network
11) Jutta Kill in BRANDI Vom Eigentum an Land und Wäldern (1. Teil des Films)
s. Trilogie BRAND / Stream auf dieser Seite
12) Staudämme und CDM in Indien Jiten Yumnam unf Imphal Manipur
13) Bhilangana III Hydro Power Project: how 24 MW destroy 14 villages https://carbonmarketwatch.org/2009/10/12/bhilangana-iii-hydro-power-project-how-24-mw-destroy-14-villages/
14) chasing carbon unicorns: The Deception Of Carbon Markets and “Net Zero”, Friends of the Earth International and Climate Justice Groups
15) Naturschutz und Profit, Klaus Pedersen, UNRAST-Verlag, Münster, 2008
16) The Big Conservation Lie, John Mbaria und Mordecai Ogada,
Auburn, Washington, USA: Lens & Pens Publishing.
17) Out of the Grid: Resistance to Capitalist Mapping, Hendro Sangkoyo
in WRM Monthly Bulletin Issue 223 – April 2016
18) Survival International startet eine Kampagne, um "30x30" zu stoppen - "der größte Landraub der Geschichte" https://www.survivalinternational.org/news/12570?fbclid=IwAR1QJxh4d8ZPqGLX695KpY4RCMeYaETE6OzJR2wYgoKmY1ZgkLZ91y5ct7I
Das Video der Kampagne https://www.youtube.com/watch?v=xRc7Ez8uY7A
19) A spatial overview of the global importance of Indigenous lands for conservation
https://www.nature.com/articles/s41893-018-0100-6
20) Kapitalismus im Lebensnetz, Jason W. Moore, Matthes & Seitz, Berlin, 2020
21) Umwelt - Durch das Profitmotiv in die Katastrophe, Gerhard Kade in Ökonomie und Gesellschaft, Hrsg. Regina Monitor, 1972
22) Zur Kritik der politischen Ökologie in Kursbuch 33, Hans Magnus Enzensberger, 1973
23) Unsettling the Coloniality of Being/Power/Truth/Freedom: Towards the Human, After Man, Its Overrepresentation - An Argument, Sylvia Wynter
24) Claudia Brunner bezieht sich an dieser Stelle in ihrem Buch „Epistemische Gewalt - Wissen und Herrschaft in der kolonialen Moderne“ transcript Verlag, Bielefeld, 2020, auf den Soziologen Boaventura de Sousa Santos: Epistemologies of the South. Justice against Epistemicide (2014)
25) REZENSION/737: Kathryn Yussof - A Billion Black Anthropocenes or None Elektronische Zeitung Schattenblick http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar737.html
26) A Billion Black Anthropocenes or None, Kathryn Yussoff, University of Minnesota Press, Minneapolis, 2019
27) Achille Mbembe / Out of the Dark Night (Theory from the Margins) Video https://www.youtube.com/watch?v=sWHYQ6CqP20
weitere Quellen, Kampagnen und Filme
Kampagnen:
Survival International startet eine Kampagne, um "30x30" zu stoppen - "der größte Landraub der Geschichte" https://www.survivalinternational.org/news/12570?fbclid=IwAR1QJxh4d8ZPqGLX695KpY4RCMeYaETE6OzJR2wYgoKmY1ZgkLZ91y5ct7I
Das Video der Kampagne
https://www.youtube.com/watch?v=xRc7Ez8uY7A
https://nodealfornature.org/#home
https://co2colonialism.org/
Filme:
Banking Nature
https://nodealfornature.org/#banking-nature
The Carbon Rush
https://www.youtube.com/watch?v=sPfTUrQLARw
weitere Quellen:
Paths Beyond Paris: Movements, action and solidarity towards Climate Justice
http://www.carbontradewatch.org/articles/paths-beyond-paris-movements-action-and-solidarity-towards-climate-justice.html
REDD: A Collection of Conflicts, Contradictions and Lies,
Bericht mit 24 untersuchten REDD-Projekten von Jutta Kill. https://www.deutscheklimafinanzierung.de/blog/2015/03/konflikte-widerspruche-und-lugen-rund-um-redd/
Umfangreiche Webseite: Redd Monitor
https://redd-monitor.org/
Is White Innocence Holding Back Climate Movements?
http://www.thecornerhouse.org.uk/resource/white-innocence-holding-back-climate-movements
UN und Pro-Quellen
Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services
https://ipbes.net/global-assessment
LEADERS’ PLEDGE FOR NATURE
https://www.undp.org/content/undp/en/home/news-centre/news/2020/world-leaders-
A Global Deal For Nature: Guiding principles, milestones, and targets
https://advances.sciencemag.org/
https://advances.sciencemag.org/content/5/4/eaaw2869/tab-pdf