Foto: Bettina Cruz Velazquez (CNI, Asamblea de Pueblo des Istmo) mit der „internationalistischen Karawane für globale Gerechtigkeit und zur Mobilisierung gegen den G7-Gipfel“ bei einer Kundgebung bei Schloss Elmau während des G7-Gipfels: „Ich gehöre zu einem indigenen Volk aus dem Süden Mexikos, und wir sind hier, weil wir den G7 sagen wollen, dass sie nicht die Herren der Welt sind, sondern dass sie sich als die Herren der Welt fühlen, weil sie hierher gekommen sind, um über unsere Zukunft zu entscheiden!“
.
SÄEN IM FEUER
von Stella AC susanne fasbender
In diesem Film verlangen wir das Unmögliche und blicken auf das Ende der Gewalt. Wir säen inmitten der Feuer der weltweiten Brände und entfachen Fragen, die unsere Kämpfe begleiten. Der Film negiert die Hegemonie der Antworten, die die Geschichte der kapitalistischen Moderne bis hin zu Krieg, Völkermord und Naturzerstörung durchziehen. Er befragt die Konzeption des "Westens" als ein produktiv gemachtes System von Kategorien wie "westlich" und "nicht-westlich", (Stuart Hall), das es ermöglichte, Gesellschaften im Interesse westlicher Vorherrschaft zu "charakterisieren", zu "klassifizieren" und miteinander "vergleichbar" zu machen. Wie entstand die epistemische Implementierung unterscheidender, rassifizierender Bestimmungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft? Wie kamen die machtvollen Gegensätze: zivilisiert / primitiv, entwickelt / unterentwickelt, rational / irrational, lebenswert / tötbar zur politisch wirkmächtiger Anwendung, während die gewaltsamen Prozesse, die zu ihrer Entstehung führten, unsichtbar wurden? Was bedeuten eurozentrische Hegemonien des Wissens und wie haben sie sich in das „westliche“ gesellschaftliche Bewusstsein eingeschrieben? Wie können wir heute die als Sachzwang postulierte Militarisierung, die Grenzziehungen, Mauern, Kriege und Naturzerstörungen, „mit denen wir uns als globale menschliche Spezies konfrontiert sehen, die kollektiv mit, durch und gegen die sich ausbreitende Expansion des Westens lebt,“ (Katherine Mc Mittrick in „Sylvia Wynter - On Being Human as Praxis“) aufbrechen, um in diesem Bruch eine neue Saat zu säen?
Der Vortrag "BRANDSPUREN – Epilog zur Unterscheidung – Von der eurozentrischen Aneignungslogik zur Entuferung des Weltenbrandes" auf dieser Seite ist als Teil der Grundlagenforschung zu diesem Film zu verstehen.
.
Dabei ist das Ende der Gewalt zugleich in uns gegenwärtig - inmitten der Barbarei, dem Völkermord, der Naturzerstörung und der Apokalypse. Es ist, um es mit Karl Marx zu sagen, "der Traum", der die Wirklichkeit bereits enthält, zu der uns das Bewusstsein fehlt - oder die physische Handlungsmacht, diese Wirklichkeit zur Welt zu machen, um diese zu erneuern. Dabei wird auch der oft beklagte Streit darüber, wie wir nun kämpfen, denken und woran wir uns dabei orientieren sollten als eine produktive Bewegungskraft verstanden, als eine Konstante ständig neuen Beginnens in einer permanenten, unabgeschlossenen Auseinandersetzung mit den Widersprüchen in der Welt. Wir begegnen uns in Anerkennung aller Unterschiedlichkeit, aber doch mit dem gemeinsamen Ziel, die Welt von unten zu erneuern.
Auch ein Besuch der documenta 15 (u.a.) erwies sich als ergiebig, um die o.g. Fragen zu stellen und wird außerdem zum Ort des Streites um Fragen des Verhältnisses zwischen Antisemitismus und Antikolonialismus. Dazu gehört auch die Befragung des herrschenden "Verbotes", die Geschichte der Vertreibung der Palästinenser*innen seit Beginn des Zionismus in Deutschland zu thematisieren oder ihre Kunst auf der documenta15 zu betrachten und zu besprechen.
Der Film entsteht mit einer Vielzahl von Stimmen von Denker*innen und Kämpfer*-innen, Krieger*innen, Forschenden, Lehrenden, Schreibenden im Gespräch und in ihren Reden, die ihre Arbeit und ihr Leben einer Gegenwart widmen (widmeten), in der die Keime einer vom Ökozid/Genozidkomplex, von eurozentrischen Hegemonien des Wissens und Denkens befreiten Praxis und möglichen Welt auch zugleich die Samen und die Kraft ihres täglichen Lebens sind. Die Begegnungen, Aufnahmen und Interviews entstanden während mehrerer Jahre an verschiedenen Orten und unabhängig voneinander. Mögen diese Menschen der Filmautorin vielleicht nicht bekannte streitbare Unterschiede in ihren Vorstellungen, Einschätzungen, Theorien und Herangehensweisen haben, so sei darauf aufmerksam gemacht, und dennoch wird sich die gemeinsame Verbindung immer wieder darin finden, am Ende der Gewalt den Ausgangspunkt zu nehmen.
Aktivist*innen und Forschende antikolonialer Kämpfe hier und dort, Frauen der kurdischen Autonomiebewegung, indigene Feminist*innen aus Abya Yala (Südamerika), der argentinischen feministischen Bewegung Ni Una Menos, Stimmen aus den palästinensischen Protesten in der BRD und der Palästina-Solidarität, Proteste zu Afghanistan, dem Tren Maya in Chiapas/Mexiko, aus dem Sudan, aus Nigeria, Namibia und aus Deutschland, sowie Interviews mit Künstler*innen aus Haiti, dem Kongo und aus Marokko thematisieren Kämpfe und Berichte zu politischer Gewalt. Die Vielzahl der hier aufgeführten Länder soll weniger für Verwirrung sorgen, als die historisch befestigte Linie - Patriarchat, Expansionismus und Kapitalismus –, die in diesen Kämpfen über die Entfernungen hinweg die Barriere bildet, verdeutlichen.
Und es sind auch die außermenschlichen Geschöpfe der Pflanzen, Gräser und Tiere, Windstürme und Regen, die den Film beleben und Sonnenstrahlen, die sich in der Linse der Kamera zu Bildern brechen. Die Arbeit entfacht ein gewobenes Netz des Lebens aus einem Befragen von Geschichte und Revolten, aus Sprechen, Texten, Lauten, Singen und Kämpfen, das sich von dem, was wir Natur nennen, so wenig trennen lässt wie von sich selbst.
Säen im Feuer blickt gerichtet in ein von Gewalt und Kämpfen, barbarischen Unterscheidungen, von Patriarchat, Rassismus, Kapitalismus und Krieg, von Wissen und Kultur, unzerstörbarem Leben und widerständigen Gesellschaften, von Erzählungen, Zitierungen und Poesie gewebtes Netz des Lebens, dem zugleich bei aller Geschichte ein permanenter Anfang innewohnt. So verbleiben wir mit unverrückbarem Blick auf das Ende der Gewalt.
Interviews, bis jetzt (alphabetisch):
Cinzia Arruzza, Lolita Chavez, Dr. Azizou Chehou, Bettina Cruz Velazquez, Marta Dillon, Peter Emorinken-Donatus, Edouard Duval-Carrié, Silvia Federici, Juan Pablo Guiterrez, Rahila Gupta, Narlis Guzmán, Martina Haase, Detlef Hartmann, Juliane Hauschulz, Laila Hida, Wieland Hoban, Karolinx, Nilüfer Koc, Fritzi Krämer, Dr. Katharina Loeber, Francesca Masoero, Leona Morgan, Papula, Napuli Paul, Lisa Pöttinger, Rua, Bafta Sarbo, Selma Selman, Ina-Maria Shikongo, Kabila Stephane, Tanya Ury, Viktor (Recherche AG)
Lectures, alphabetisch
Asya Abdullah, Vilma Rocío Almendra, Nizol Lonko Juana Calfunao, Jade Daniels, Dilar Dirik, Irem Gelkus, Malalai Joya, Elif Kaya, Kavita Krishnan, Heza Şengal, Mariam Rawi u.a.
Stella AC, Februar 24